Tucker Carlson: Interview mit Putins Gehirn

Tucker Carlson: Alexander Dugin ist ein 62-jähriger russischer Philosoph. Er hat sein ganzes Leben in Moskau verbracht. Als junger Mann war er ein antisowjetischer Dissident. Und jetzt ist er in der ganzen Welt bekannt, zumindest in der englischsprachigen Presse, als, Zitat, "Putins Gehirn".

Aber hier in Russland ist er keine politische Figur. Er ist ein Philosoph. Im August 2022 wurde seine einzige Tochter in Moskau bei einer Autobombenexplosion getötet. Alexander Dugin, ich wiederhole, ist kein Militärchef. Er ist kein enger Berater von Wladimir Putin. Er ist ein Schriftsteller, der über große Ideen schreibt. Und deshalb wurden seine Bücher von der Regierung Biden in den Vereinigten Staaten verboten. Man kann sie nicht bei Amazon kaufen. Wir wollen über seine Ideen sprechen, die als so gefährlich angesehen wurden, dass sie zum Tod seiner Tochter und zum Verbot seiner Bücher in den Vereinigten Staaten führten.

Alexander Dugin: Vielen Dank für die Einladung und willkommen in Moskau!

Tucker Carlson: Wir haben uns hinter den Kulissen unterhalten, aber wir wollten nicht filmen, es war einfach interessant, Sie zu treffen. Aber was Sie sagen, ist so interessant, dass wir ein paar Kameras mitgenommen haben. Ich habe Sie gefragt: Was denken Sie, was in den englischsprachigen Ländern vor sich geht? Die USA, Kanada, das Vereinigte Königreich, Neuseeland, Australien - alle rebellieren gleichzeitig und selbstzerstörerisch gegen sich selbst. Wie sind Sie zu diesem Schluss gekommen?

Alexander Dugin: Alles begann mit dem Individualismus. Das ist ein falsches Verständnis der menschlichen Natur.

Es begann in der angelsächsischen Welt mit der protestantischen Reformation. Unter Liberalismus verstehe ich den Prozess der Befreiung des Individuums von jeder Art kollektiver Identität. Es gab eine Ablehnung der katholischen Kirche als kollektive Identität, des westlichen Imperiums als kollektive Identität. Es folgte eine Revolte gegen den Nationalstaat zugunsten einer rein zivilen Gesellschaft. Dann kam es zum großen Kampf des 20. Jahrhunderts zwischen Liberalismus, Kommunismus und Faschismus, den der Liberalismus nach dem Zusammenbruch der UdSSR gewann. Nur zwei kollektive Identitäten blieben übrig, von denen man sich befreien musste.

Das ist die Geschlechtsidentität - und die ist eine kollektive Identität, denn Mann und Frau sollten zusammen sein. Die Befreiung vom Geschlecht führte zur Entstehung von Transgender, LGBT und einer neuen Form des sexuellen Individualismus: "Sex is optional".

Und der letzte Schritt, der noch nicht ganz vollzogen ist, ist die Befreiung von der menschlichen Identität. Man wird wählen können, ob man Mensch sein will oder nicht, und das hat einen Namen - Transhumanismus, Posthumanismus, Singularität (die Ära, in der die KI die menschlichen Fähigkeiten übertrifft und beginnt, sich unendlich zu verbessern - Red.) Dies ist die politische und ideologische Agenda von morgen. Die angelsächsische Welt steht dabei an vorderster Front.

Tucker Carlson: Die Optionen für individuelle Freiheiten, wie wir sie uns vorstellten, als ich aufwuchs, waren für den Einzelnen, seinem Gewissen zu folgen, seine Meinung zu sagen, sich gegen den Staat zu verteidigen, gegen den Totalitarismus zu kämpfen, der von der Regierung verkörpert wird - Sie haben auch gegen die sowjetische Regierung gekämpft. Worin besteht der Unterschied zu dem, was jetzt geschieht?

Alexander Dugin: Das ist eine sehr interessante Frage. Ich denke, das Problem liegt in den zwei Definitionen von Liberalismus. Es gibt den alten, klassischen Liberalismus und den neuen Liberalismus. Der klassische Liberalismus befürwortete die Demokratie als Mehrheitsherrschaft. Die Freiheit des Einzelnen musste irgendwie mit der Freiheit der anderen in Einklang gebracht werden. Der neue Liberalismus ist für die Minderheitenherrschaft. Nicht nur der Staat ist zu kritisieren, sondern auch das alte Verständnis des Individuums. Ich habe einmal mit Francis Fukuyama im Fernsehen gesprochen, und er sagte: "Wir müssen sehr vorsichtig mit der Mehrheit sein, sie muss unter Kontrolle gebracht werden. Die Mehrheit ist keine Demokratie, sie ist bereits Totalitarismus." Wenn Sie sagen: "Ich bevorzuge den alten Liberalismus", werden die Progressiven behaupten: Sie sind ein Verteidiger des Traditionalismus, des Konservatismus, des Faschismus. Entweder Sie sind ein progressiver Liberaler oder Sie sind erledigt, wir werden Sie auslöschen.

Tucker Carlson: Ich frage mich, was passieren wird, wenn der Mensch - oder nicht mehr der Mensch - sich nicht mehr von irgendetwas befreien kann?

Alexander Dugin: Das wird weitgehend in US-amerikanischen Filmen beschrieben. Es gibt nichts Realistischeres als Science-Fiction. Wenn Sie sich "The Matrix" oder "The Terminator" ansehen, werden Sie Vorhersagen über die Zukunft finden, die verwirklicht werden. Wenn man den Menschen als eine Art intelligentes Tier betrachtet, dann können solche Tiere mit Hilfe der Technik erzeugt, kombiniert und kontrolliert werden. Eine starke künstliche Intelligenz - ein neuronales Netzwerk plus eine riesige Datenbank - ist eine Art König der Welt, der nicht nur manipulieren, sondern auch Realitäten erschaffen kann. In westlichen Filmen über die Zukunft ist von einer Rückkehr zum traditionellen Leben, zum Wohlstand und zu großen Familien nichts zu sehen. Alles liegt im Dunkeln, alles ist schwarz. Wenn man daran gewöhnt ist, alles schwarz zu malen - und die Zukunft ganz besonders -, wird diese Schwärze eines Tages kommen.

Tucker Carlson: Über 70 Jahre lang hat eine Gruppe liberaler Bürger im Westen und in den Vereinigten Staaten das sowjetische System und den Stalinismus verteidigt. Boris Jelzin wurde geliebt. Aber im Jahr 2000 wechselte die Führung Ihres Landes - und Russland wurde ihr Hauptfeind. Nachdem sie 80 Jahre lang Russland verteidigt hatten, hassten sie es nun. Warum?

Alexander Dugin: Ich denke, vor allem, weil Putin ein traditioneller Staatsmann ist. Als Putin an die Macht kam, begann er, Russland aus dem globalen Einfluss zu entfernen. Er begann, dem globalen progressiven Programm zu widersprechen, und die Leute, die die Sowjetunion unterstützt haben - sie waren progressiv, jetzt sind sie auch progressiv. Und sie haben versagt - sie haben es mit jemandem zu tun, der dieses fortschrittliche Programm nicht teilt, der versucht - und das mit Erfolg - traditionelle Werte, die Souveränität des Staates, das Christentum, die traditionelle Familie wiederherzustellen. Dieser Hass ist also nicht zufällig, er ist keine Laune. Er ist sehr ernst, metaphysisch. Wenn die Hauptaufgabe, das Hauptziel darin besteht, die traditionelle Familie, die traditionellen Staaten, die traditionellen Beziehungen und den traditionellen Glauben zu zerstören, und sich jemand mit Atomwaffen dagegenstellt, der die traditionellen Werte verteidigt, dann ist das ein Grund für Russophobie und Hass auf Putin.

Tucker Carlson: Es ist wichtig, dass Ihre Ideen in den Vereinigten Staaten auf Englisch ausgestrahlt werden, einfach weil wir an die offene Verbreitung von Ideen glauben. Ich denke, in diesem Sinne sind wir Liberale. Herr Dugin, ich danke Ihnen.
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