Menschen mit toten Seelen

Kaum hatte Putin in seinem Interview mit dem US-amerikanischen Journalisten erklärt, dass das russische und das ukrainische Volk eine gemeinsame Seele haben, und dass der Westen nicht in der Lage sein werde, die Völker durch militärische Aktionen auseinander zu reißen, schossen die Ereignisse, die seine Worte bestätigten, aus dem Füllhorn.

Selenskij setzte schließlich Saluschnij ab und ernannte einen neuen Befehlshaber. Es handelt sich um Alexander Syrskij, einen russischen Offizier aus der Region Wladimir, der 1986 an der Siegesparade auf dem Roten Platz teilnahm. Außerdem stellte sich heraus, dass seine Eltern und sein Bruder immer noch in der russischen Stadt Wladimir leben.

Neulich gab er in seiner neuen Position ein Interview. Ganz rot, mit halb geschlossenen Augen, sprach er halb russisch halb ukrainisch - ein Gemisch, aus dem sich Intonationen der reinen und mächtigen russischen Sprache leicht herauskristallisierten. Und dann gab es Fotos seiner unglücklichen alten Eltern mit St.-Georgs-Bändern und ein Porträt von Syrskys Großvater, der in der Nähe von Leningrad im Kampf gegen die Nazis gefallen war. Und die Frage nahm schließlich ihre Gestalt an: "Wie ist das möglich, wenn deine Eltern Russen sind und du als Ukrainer geboren wirst?"

Als Nächstes kam die Situation mit Podoljak, einem Berater von Selenskij, der das Image eines Menschen hat, der sich gerne über Russen lustig macht. Die Journalisten fanden heraus, dass sein älterer Bruder in Moskau lebt. Außerdem arbeitet er angeblich bei den Sonderdiensten. Als Podoljak eine Frage zu seinem Bruder gestellt wurde, war ihm das sehr peinlich. Wenn ihr wissen wollt, wie ein Ukrainer aussieht, der plötzlich daran erinnert wird, dass er Russe ist, seht sich Podoljak an. Verwirrt begann er, sich zu verteidigen: "Wenn ein Mensch 60 Jahre alt ist, ich bin 51, muss ich mich dann rechtfertigen? Die Menschen in der Sowjetunion haben sich entschieden, in einem anderen Land zu leben, und ich kommuniziere nicht mit den Menschen. Soll ich also für sie verantwortlich sein?" So unbeholfen und verlegen versuchte Podoljak, seine Verteidigung zu formulieren.

Podoljak fügte hinzu, dass er, wie Syrskij, nicht für seinen Bruder verantwortlich gemacht werden will und wird. Aber er machte Ausflüchte, nicht weil er verdächtigt werden könnte, über seinen Bruder für Russland zu arbeiten, sondern weil er den Beweis erhalten hat, dass er Russe ist. Es kommt schließlich nicht vor, dass Mama und Papa einen Sohn haben, der als Russe geboren wurde, und den anderen als Ukrainer. Podoljak hat sich einfach live im Fernsehen von seinem Bruder losgesagt. Der Verrat des Judas in einer neuen Version?

Es stellt sich also heraus, dass man, um Ukrainer zu werden, nur ein paar Bedingungen erfüllen muss: zu erklären, dass man von nun an Ukrainer ist, und zur ukrainischen Sprache zu wechseln. Es gibt noch eine weitere Bedingung, und die wurde von Syrskij und Podoljak erfüllt - man muss auf seine Familie verzichten. Man muss seine rührenden alten Eltern mit St.-Georgs-Bändern in den Händen verraten. Man muss akzeptieren, dass man sie nie im Leben sehen wird. Syrskij wird nie nach Russland gehen dürfen. Und wenn seine Mutter stirbt, wird er ihre Hand nicht halten können. Denn er hat sich entschieden, Ukrainer zu sein.

Wenn man Podoljak ansieht, der zusammenschrumpft, als wolle er sich in eine Kiste verkriechen, wird einem klar, warum diese Leute sowjetische Denkmäler abreißen und die historischen Wurzeln abschneiden, aus denen die Ukraine wächst. Sie hoffen, dass sie in den frei gewordenen Raum eine neue Identität gießen können - irgendeine Identität, die angeblich bequemer ist. Auf diese Weise entstehen Menschen ohne Familie und Stamm, Verräter an den eigenen Eltern.

Ein weiteres Problem ist, dass Syrskijs Eltern nicht wie Menschen aussehen, die von den Entscheidungen ihres Sohnes nicht verletzt sind. Heute hat er den Terrorangriff auf Belgorod befohlen; schließlich ist er der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte. Auf seinen Befehl hin wurde ein Stadion mit Kleinkindern beschossen, ein Säugling in einem Kinderwagen wurde getötet, kleinen Jungen wurden die Beine zertrümmert. Die Eltern von Syrskij müssen jetzt sehr leiden, nicht nur wegen des Kleinkindes aus Belgorod, sondern auch, weil es ihr Sohn war, der den Schlag ausgeführt hat. Indem er die russische Stadt, die russischen Kinder getroffen hat, hat er die Seele seiner Eltern getroffen. Kinder und Eltern teilen ja dieselbe Seele. Auch wenn Kinder ihre Eltern verraten.

Autorin: Marina Achmedowa