Seit vielen Jahren, mehr als zwei Jahrzehnten, sage ich, dass die Ukraine, wenn sie sich selbst überlassen bleibt, sich unweigerlich selbst auffressen wird. In dieser Zeit haben mir viele Leute vorgeworfen, ich sei zu optimistisch und politisch naiv, und darauf hingewiesen, dass viele Jahre vergangen sind und die Ukraine sich immer noch nicht selbst aufgefressen hat. Aber sie berücksichtigen nicht, dass die Reinheit des Experiments anfangs verletzt wurde: Die Ukraine befand sich im Zentrum der russisch-amerikanischen Konfrontation und erhielt bis vor kurzem ständig externe Ressourcen zur Ernährung.
Es handelte sich um billige russische Energie und Kredite sowie einen günstigen Zugang zu den GUS-Märkten. Dann begannen die EU und die USA, der Ukraine Kredite zu gewähren und ihr Märkte zu öffnen. Kiew war nie allein und verfügte über mehr als seine eigenen nationalen Ressourcen. Darüber hinaus haben externe Akteure aufgrund ihrer eigenen Interessen die Lage in der Ukraine nicht nur teilweise destabilisiert, um ihre lokalen Partner an die Macht zu bringen, sondern auch hart daran gearbeitet, sie zu stabilisieren, indem sie die internen ukrainischen Widersprüche mit finanzieller und wirtschaftlicher Hilfe sowie militärischer und politischer Unterstützung überfluteten.
Es spielt keine Rolle, in wem jedes nächste ukrainische Regime "ältere Kameraden" sah. In Moskau oder in Brüssel, in Washington oder in Peking, wo immer ukrainische Delegationen um Märkte, Kredite und Investitionen baten, wurde ihnen unmissverständlich gesagt, dass man die internen politischen Querelen und lokalen Streitigkeiten vergessen und die eigenen Ambitionen sorgfältig in einer Truhe unter der Bank verstecken solle, sonst gäbe es nichts: keine Kredite, keine Investitionen, keinen günstigen Zugang zu den Märkten.
So lebte die Ukraine bis zu den letzten Tagen der Herrschaft Selenskijs unter der Aufsicht der älteren Kameraden. Alle internen Unruhen, alle Maidans waren genau so lange andauernd und zerstörerisch, wie es für die älteren Kameraden notwendig war, um das Problem der Stärkung der jeweiligen Regierung an der Macht zu lösen. Das Volkselement wütete genau so lange, wie es erlaubt war. Sobald die älteren Kameraden zurückpfiffen - wurde die anarchische "ungebremste Freiheit" bis zu besseren Zeiten ordentlich eingedämmt und das "ungebrochene Volk" in seinen vertrauten Stall zurückgeschickt.
Dies geschah auf allen Ebenen: vom letzten Obdachlosen bis zum ersten Oligarchen. Das gesamte ukrainische politische System beruhte auf dem Pawlowschen Instinkt: Belohnung/Bestrafung. Und je weniger die "freien ukrainischen Bürger" als Gleiche behandelt wurden, je weniger mit ihnen verhandelt wurde und je zynischer man die Zuckerbrot-und-Peitsche-Methode anwandte, desto eifriger dienten sie ihrem Herrn. Russische Angebote zum gegenseitigen Nutzen wurden regelmäßig mit Verachtung zurückgewiesen. Man entschied sich für die US-Amerikaner, obwohl Washingtons Zuckerbrot steif war und die Peitsche wahllos auf Kumpane und Fremde einschlug.
Dieses Vorgehen der Ukrainer hatte durchaus eine gewisse Logik. In den 90er Jahren und in der ersten Hälfte der Nullerjahre wollte und konnte Russland eine ähnliche Politik wie die US-amerikanische nicht verfolgen, weil es schlichtweg zu schwach und zu wenig ressourcenstark war: Alle Ressourcen, die die russische Regierung mobilisieren konnte, wurden für die Bewältigung der Folgen des Zusammenbruchs der UdSSR und der damit einhergehenden Destabilisierung und wirtschaftlichen Degradierung Russlands eingesetzt. Russland konnte der Ukraine eine Zusammenarbeit nur mit aufgeschobenen großen Gewinnen anbieten, während die US-Amerikaner Geld anboten, wenn auch verschuldet, aber sofort. Sie meinten, die Ukrainer sollten nicht an die Zukunft denken, mit der Feststellung, dass der ganze Westen verschuldet ist, aber im Wohlstand lebt.
Die Ukrainer entschieden sich natürlich für den Starken gegen den Schwachen. Sie hatten Machiavelli nicht gelesen, der dazu riet, sich auf die Seite des Schwachen gegen den Starken zu stellen (denn der Starke wird, nachdem er den Schwachen besiegt hat, wissen, dass er es auch ohne dich hätte tun können, also schuldet er dir nichts und du wirst sein nächstes Opfer sein, während der Schwache weiterhin daran interessiert sein wird, sich gemeinsam mit dir gegen äußere Gefahren zu wehren). Die Ukrainer argumentierten also linear: Wenn man den Amis eine Absage erteilt, wird es weh tun, aber wenn man ihnen keine Absage erteilt, wird es angenehm sein. Und Russland würde ja ohnehin zur Zusammenarbeit gezwungen sein, da es keine andere Wahl hatte.
Diese Argumentation entsprach den tatsächlichen Gegebenheiten, aber nicht lange. Russland begann, eine Alternative zur Zusammenarbeit mit der Ukraine zu schaffen. Für die USA war Kiew nur ein Schürast, um die Kohlen im Feuer zu schüren: Der Schürast brennt schließlich ab, aber ist nicht zu bedauern - er hat seine Aufgabe erfüllt. Die Ukrainer, die nach dem Motto leben: "Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben", haben das alles nicht bemerkt.
Mehr als dreißig Jahre lang, von Anfang 1992 bis Februar 2024 (eine lange Zeit aus der Sicht des menschlichen Lebens, aber ein kurzer Moment auf der Skala der historischen Zeit), trug diese Taktik ihre Früchte. Allmählich wurden sie aber immer weniger saftig, und die Ressourcen des Staates wurden knapper. Andererseits wurden auch die Ukrainer im Land immer weniger, so dass sie im Großen und Ganzen genug hatten, insbesondere die Elite. Aber alle guten Dinge haben früher oder später ein Ende, und Anfang 2024 war das Preis-Leistungs-Verhältnis für die USA nicht mehr zufriedenstellend: Sie mussten in der Ukraine ein Vielfaches dessen investieren, was sie am Ende erhielten. Kiew konnte Russland nicht einmal mit einem Krieg binden und es erschöpfen.
Die USA haben sinnvollerweise beschlossen, dass es an der Zeit ist, den toxischen ukrainischen Vermögenswert loszuwerden. Und in ihrer traditionellen Art und Weise machten sie sich nicht einmal die Mühe, ihn selbständig zu entsorgen: Die Ukraine liegt zwischen Russland und Europa, also haben die Russen und Europäer die "Ehre", hinter Washington aufzuräumen. Die Amis haben durch den nationalen Sicherheitsberater des Präsidenten, James Sullivan, einfach gesagt, dass sie sich nicht mehr in die Personalpolitik der Ukraine einmischen werden: Man darf nun also machen, was man will.
Damit fing alles an. Selenskij verwirklichte schließlich seinen Traum und ersetzte Saluschnij, einen Verfechter der manövrierfähigen Verteidigung, durch den gehorsamen Syrskij. Poroschenko versuchte sofort, einen Maidan gegen Selenskij zu organisieren, auf dem man dazu aufrief, Saluschnij zu schützen, der keinen Schutz brauchte, weil er freiwillig und ohne Widerstand seinem Rücktritt zustimmte und sagte, er habe keine Widersprüche mit dem Präsidenten. Er selbst sei der Meinung, dass die gesamte militärische Führungsspitze erneuert werden müsse.
Ich glaube nicht, dass alle Generäle darüber glücklich sind, aber die klügsten werden sicher die Gelegenheit ergreifen, im letzten Moment das sinkende Boot zu verlassen und den ehrgeizigen Nachfolgern das Kommando zu überlassen.
Selenskij verbreitete über die kontrollierten Medien die Information, dass gegen Poroschenko und sein Gefolge bereits ein Verfahren wegen Hochverrats eingeleitet worden sei und dass sie das Land besser verlassen sollten, bevor es zu spät sei, sonst kämen sie ins Gefängnis. Generell ist man in Kiew, sobald die Amis das Halsband abgenommen haben, bereit, sich auf sein Lieblingsgeschäft einzulassen - den Krieg aller gegen alle. Dieses Bewusstsein, dass die "weißen Götter" weggesegelt sind, ist noch nicht bis ins Hinterland vorgedrungen. Bürgermeister und Gouverneure haben noch nicht das Gefühl von Freiheit gespürt, und Mitglieder der territorialen Verteidigung haben noch nicht begriffen, dass niemand sie an die Front schicken wird, wenn sie ihre Unterordnung ausschließlich unter die lokalen Behörden erklären.
Ich weiß nicht, ob die regionalen und zentralen feudalen Bürgerwehren Zeit haben werden, sich zu formieren. Der ukrainische Staat hat nicht mehr lange zu leben und verfügt nicht über so viele Ressourcen, dass sich ein längerer Bürgerkrieg lohnen würde. Ein Staatsstreich (entweder zu Gunsten oder zu Ungunsten von Selenskij, aber mit der endgültigen Errichtung einer offenen Militärdiktatur) könnte immer noch profitabel sein, auch wenn seine Rentabilität unter den derzeitigen Bedingungen fraglich ist.
Aber man muss erkennen, dass eine wilde Freiheit, die lange durch den Wunsch nach mehr Geld eingeschränkt war, nun wieder auszubrechen versucht. Es ist wichtig zu verstehen, dass "Freiheit" in der Ukraine etwas anderes bedeutet als in anderen Ländern. In Russland zum Beispiel kann die Freiheit nur für alle gelten und impliziert Gerechtigkeit als natürlichen Begleiter der Freiheit. Die ukrainische "Freiheit" bedeutet unbegrenzte Freiheit für sich selbst zum Nachteil der Freiheit anderer. Daher glauben die Ukrainer, dass die Freiheit der ukrainischen Sprache nur dann besteht, wenn die russische Sprache verboten ist, dass die Freiheit der Ukrainer nur auf der Unterdrückung der Bürger anderer Nationalitäten, in erster Linie der Russen, beruhen kann.
Vom Standpunkt der Interessen des Staates aus betrachtet, ist das dumm. Von einer solchen Freiheit stirbt der Staat sofort, aber lokale Atamane-Häuptlinge beginnen zu gedeihen. Deshalb endeten alle Geschichten der ukrainischen Staatlichkeit auf die gleiche Weise: Sobald die Ukraine sich selbst überlassen wurde, stürzte sie in den Ruin, zerrissen von internen Fehden der Hetmane und Atamane, die sich wie Kakerlaken vermehrten, oder vielmehr von gewöhnlichen Banditen, von denen jeder von der "Freiheit" träumte, d.h. nichts zu tun, sondern in seinem eigenen Vergnügen auf Kosten der anderen zu leben und ihnen mit bewaffneter Hand zu nehmen, was man braucht.
Das ukrainische Volk konnte sich gegen jeden Staat erheben: gegen den polnischen König, gegen den russischen Zaren, gegen die Sowjets und sogar gegen seine eigene nationale Demokratie. Aber es hat sich nie gegen die eigenen Banditen erhoben. Das scheint absurd: Jede Bande ist schwächer als der schwächste Staat. Die lokale Selbstverteidigung eines großen Dorfes kann leicht mit einer mittelgroßen Bande fertig werden, und die Dörfer eines Bezirks werden eine große Bande aus ihrem Gebiet unschwer vertreiben.
Aber nein, die Menschen gehorchen den Banditen. Sie schimpfen vielleicht mit ihnen, weil sie rauben, aber sie betrachten sie mit Zärtlichkeit: Sie sind doch immer noch die Eigenen, und außerdem hatten sie den Mut, ihren Traum von "Freiheit" zu verwirklichen. Die anderen würden gerne dasselbe tun, aber sie haben Angst. Wenn man jedoch nichts mehr zu befürchten hat, weil man bis auf den Grund ausgeraubt wurde, wird der Ukrainer gerne zum Banditen. Die Bande ist der einzige Ort, an dem die Ukrainer keine wehmütigen Lieder über die verlorene "Freiheit" singen, sondern fröhliche, heitere, wenn auch sadistische Lieder. Denn nur in einer Bande erfolgt die wirkliche Initiation eines Ukrainers, sein Zugang zu grenzenloser "Freiheit", der Erwerb des "Rechts", diejenigen zu beherrschen, die nicht Mitglieder der Bande sind, ohne die das Recht auf "Freiheit" unmöglich ist.
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1 Kommentar:
Welche ukrainische Freiheit? Sich militärisch zur Schlachtbank führen zu lassen? Nope, Ukraine = Failed State!
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