TVL über die Ukraine: Von Niederlage zu Niederlage bis zum Endsieg

Text aus dem u.a. Video des französischen Fernsehkanals TVL:
Moderatorin: Die Ukraine ist auf dem Weg zu einer inneren Explosion. Neben den Schwierigkeiten an der Front wird Kiew nun auch von immer deutlicher werdenden politischen Spaltungen erschüttert. Und die Annullierung der Präsidentschaftswahlen heizt die Welle der Unzufriedenheit nur noch weiter an.
Selenskijs Macht wird in einer Zeit, in der Kiews Position an der Front besonders sensibel wird, zunehmend in Frage gestellt. Die Beziehungen zwischen Selenskij und dem Chef seines Generalstabs sind wegen Streitigkeiten über die Zukunft des Konflikts angespannt. Während Bernard Henri Lévy schreibt, dass die weitere Bewaffnung der Ukraine unerlässlich ist, scheint es immer offensichtlicher - oder zumindest für immer mehr Menschen offensichtlich - dass jedes Versprechen zusätzlicher Hilfe für Kiew nur zu mehr Toten an der Front führt. Natürlich sind diese Passagen einem Philosophen, der seine Filme in einem Studio mit Chromakey-Kulisse dreht, nicht geläufig.

Tatsächlich wird durch die internationale Unterstützung, sei es in Form von Finanzhilfen oder direkten Waffen- und Munitionslieferungen, die Vorstellung künstlich gefördert, dass der Konflikt zu Gunsten der Ukraine ausgehen könnte. Diese Vorstellung ist das Ergebnis einer Medienberichterstattung, die nichts mit der Realität vor Ort zu tun hat. Dennoch sind die Unterschiede zwischen Selenskij, der nie gekämpft hat, und General Saluschnij, dem Chef des Generalstabs der ukrainischen Armee (Eigentlich ist er Oberkommandierender der Streitkräfte der Ukraine - Anmerkung von RJ), frappierend. Der Spezialist für Krisenmanagement Hervé Caress analysiert die derzeitige Strategie Kiews.

Hervé Caress, Spezialist für Krisenmanagement: Was die ukrainische Strategie betrifft, so sind die Ukrainer logischerweise zu einer defensiven Strategie übergegangen, aber sie stehen vor einem Dilemma: Sollen sie in ihren derzeitigen Stellungen kämpfen, auf die Gefahr hin, dass ihr Personal und ihre Kräfte angesichts der erdrückenden Feuerüberlegenheit der Russen erschöpft sind, oder sollen sie einen strategischen Rückzug akzeptieren, um sich in den Verteidigungslinien neu zu formieren.

Kiew befindet sich in einer äußerst schwierigen Lage. Das Militär ist nicht nur von zwei Jahren Konflikt erschöpft, sondern auch durch schreckliche Verluste, die hätten vermieden werden müssen, gebrochen.  

Hervé Caress: Dies ist ein echtes Dilemma für die ukrainischen Strategen, sowohl militärisch als auch politisch. Denn nachdem sie große Hoffnungen auf eine Sommeroffensive geschürt und während dieser Sommeroffensive enorme Verluste in Kauf genommen haben, müssen sie der ukrainischen Bevölkerung, die des Konflikts allmählich überdrüssig wird, erklären, dass sie nun einem strategischen Rückzug (oder dem, was man als solchen bezeichnen kann) zustimmen, um sich schließlich darauf vorzubereiten, das verlorene Gebiet zurückzuerobern, sobald die ukrainischen Streitkräfte wieder hergestellt sind.

So baut die ukrainische Führung möglicherweise auf dem Mythos auf, dass die Ukraine von Niederlage zu Niederlage bis hin zum endgültigen Sieg gehen kann. Es ist unwahrscheinlich, dass die Bevölkerung diese Narrative schluckt, da die Stunde der Abrechnung in den Köpfen der Bürger bereits gekommen ist. Es ist unwahrscheinlich, dass die von Selenskij angekündigte Absage der Wahlen etwas an der Situation ändern wird. Das Gegenteil ist der Fall. Zu allem Überfluss beginnen Gerüchte zu kursieren, wonach Wladimir Putin fast unmittelbar nach dem Einmarsch der russischen Truppen bereit war, mit der Ukraine über die Wiederherstellung des Friedens zu verhandeln. Die Ukrainer erkennen nun, dass sie in zwei Jahren nicht nur die Krim und den Donbass nicht zurückerobern konnten, sondern noch viel mehr verloren haben - sowohl Land als auch Menschen. Das lässt sie die Entscheidung, die Minsker Vereinbarungen nicht einzuhalten, bitter bereuen.