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Samstag, 18. Februar 2023

Isolierung Russlands als Ziel der Münchner Konferenz?

Die russische Online-Zeitung News.ru interviewt den deutschen Politologen Alexander Rahr, der der Meinung ist, dass das globale Sicherheitsforum, das am 17. Februar 2023 eröffnet wurde und zu dem zum ersten Mal keine offizielle russische Delegation eingeladen war, seinen Zweck verloren hat.

Im vergangenen Jahr hat die Münchner Sicherheitskonferenz einen neuen Vorsitzenden bekommen. Christoph Heusgen, ein deutscher Diplomat, ehemaliger deutscher Botschafter bei der UNO und ehemaliger Berater von Angela Merkel. Hat sich dies auf die Atmosphäre und die Tagesordnung des Forums ausgewirkt?

Meiner Meinung sind die Veränderungen nicht zu übersehen. Herr Heusgen war Merkels rechte Hand, auch bei der Leitung ihrer Außenpolitik. Und ich kann bezeugen, dass die Kanzlerin unter ihm begonnen hat, sich so weit wie möglich von Russland zu distanzieren, von dem Kurs ihres Vorgängers Schröder. Heusgen verkündete das Hauptziel der Münchner Konferenz - die vollständige Isolierung Russlands zu erreichen. Das heißt, zum ersten Mal hatte das Forum ein politisches Ziel. Zuvor hatte es nie ein politisches Ziel gehabt. Selbst als Putin vor 16 Jahren seine "Münchner Rede" hielt und die NATO vor der Erweiterung warnte, wurde dies als sein Wunsch und nicht als Doktrin wahrgenommen. Er vertrat lediglich einen Standpunkt. Jetzt versucht man, die Münchner Konferenz in ein politisches Instrument zu verwandeln.

Welcher russische Regierungsvertreter könnte Ihrer Meinung nach in der derzeitigen Situation nach München fliegen? Sergej Lawrow?

Warum nicht. Lawrow hat jedes Jahr an der Konferenz teilgenommen, und er war immer der Höhepunkt des Programms. Ich glaube, er ist persönlich sehr beleidigt, dass er nicht eingeladen wurde. Er wurde ja sogar von der Liste gestrichen. Als Politikwissenschaftler ist das für mich unverständlich: Wenn es einen Konflikt gibt, wenn es ein Problem mit der Beteiligung von Großmächten gibt, dann muss man einfach alle Seiten anhören, miteinander reden. Die Münchner Sicherheitskonferenz ist kein Treffen der NATO-Staaten, der EU oder der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates. Eine Sicherheitskonferenz ist eine Plattform zur Kommunikation, zur Förderung von Ideen, zur Debatte und zur Klärung der Beziehungen. Wenn das Forum den Anspruch erhebt, global zu sein, müssen alle Standpunkte vertreten sein.
Übrigens hat Heusgen nicht nur russische, sondern auch iranische Politiker von den Listen ausgeschlossen. Die Chinesen sind eingeladen, aber ich bin sicher, dass während der Rede des chinesischen Vertreters viele "Westler" den Raum verlassen werden. Auf der anderen Seite sind die US-Vizepräsidentin Kamala Harris und der Chef des Außenministeriums Blinken sowie ein Drittel des US-Senats in München. Es ist klar, dass sie ihre Agenda vorantreiben werden. Die Konferenz ist zu einem Apéro westlicher Staats- und Regierungschefs geworden, die sich gegenseitig auf die Schulter klopfen, sich auf die Wange küssen und sagen, wie gut sie alle sind und wie schlecht alle anderen. Aus meiner Sicht verliert die Münchner Konferenz in dieser Form ihren Sinn, weil sie einen Dialog ausschließt.


Glauben Sie, dass ein solcher Dialog nach dem 24. Februar 2022 prinzipiell möglich ist, und Russland daran interessiert wäre? Im russischen Außenministerium hieß es, die russische Delegation wolle nicht an einer "Farce mit antirussischen Tendenzen" teilnehmen, wie die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa die Konferenz nannte.

Leider müssen wir zugeben, dass ein solcher Dialog seit anderthalb Jahren im Prinzip nicht mehr möglich ist. Aber es geht nicht darum, was Russland will oder nicht will. In den letzten Jahren haben sich die Organisatoren der Konferenz von dem Grundsatz leiten lassen, keine zweite Rede wie die von Wladimir Putin im Jahr 2007 zuzulassen. Und ich halte die Entscheidung, die offizielle Delegation der Russischen Föderation nicht einzuladen, für einen großen Fehler. Anfang der 1960er Jahre startete die Münchner Konferenz als Treffen der Verteidigungsminister des Nordatlantischen Bündnisses. Jetzt ist es an der Zeit, sie wieder in NATO-Club umzubenennen.

Welche konkreten Ergebnisse erwarten die Teilnehmer dieses Jahr?

Die vorherrschende Meinung in der westlichen Agenda ist, dass heute der entscheidende und letzte Moment ist, in dem es noch möglich ist, einen Durchbruch im Konflikt in der Ukraine zu erzielen. Im Westen glaubt man, dass Russland verlieren wird, wenn es ein weiteres Paket antirussischer Sanktionen beschließt und die Ukraine noch mehr aufrüstet. Ich denke, das ist es, was sie anstreben werden. Natürlich hat die Münchner Konferenz aus völkerrechtlicher Sicht keine Autorität, sie ist nur eine Diskussionsplattform. Aber es liegt auf der Hand, dass diese Diskussionen weitere Schritte vorantreiben werden. Das Gastgeberland, vertreten durch den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz, steht unter enormem Druck. Einerseits hat er zugesagt, Kiew mit Leopard-Panzern zu beliefern, andererseits hat er es nicht eilig, sein Versprechen sofort einzulösen. Scholz ist sich darüber im Klaren, dass eine echte Panzerschlacht auf dem Territorium des modernen Europas unter Beteiligung von russischem und NATO-Material zu unvorhersehbaren Folgen führen kann. Vielleicht zögert er in der Hoffnung, dass Wladimir Putin seine Meinung ändert und Verhandlungen anbietet. Berlin träumt natürlich nicht von einer Wiederholung der Schlacht von Kursk. Es gibt keine Garantie, dass Deutschland nicht alle seine Leopard-Panzer auf dem Schlachtfeld auf einmal verliert. In einem solchen Szenario würden sowohl Russland als auch der Westen große Verluste erleiden. Inzwischen ist bereits die Rede davon, der Ukraine Kampfjets zu liefern. Kiew hofft, dass in München eine Entscheidung darüber getroffen wird. Die Ukrainer fordern auch die Lieferung von Langstreckenraketen. Es gab sogar einen Vorschlag, ein U-Boot an die Ukraine zu liefern. Ich frage mich, wie es durch den Bosporus ins Schwarze Meer kommen soll? Nehmen wir an, ein kleines U-Boot segelt durch die Meerenge, aber was dann? Wird es in einen Krieg mit der russischen Schwarzmeerflotte ziehen? Die ganze Sache ist irgendwie verrückt. Wer hätte gedacht, dass sich die Welt in nur einem Jahr auf eine noch nie dagewesene Weise verändern würde!

Ist es denn sinnvoll, nach dem 24. Februar 2022 irgendwelche Vorhersagen zu treffen? Oder ist die Sicherheitslage völlig unberechenbar geworden?

Wenn Sie wissen wollen, wie der Konflikt enden kann, dann denke ich, dass es eine Pattsituation ist. Nach fast einem Jahr sehen wir, dass er weder zu Gunsten Russlands noch zu Gunsten Europas gelöst worden ist. Russland ist eine Atommacht. Wenn die NATO-Truppen anrücken, könnte Russland irgendwo eine Atombombe abwerfen. Die Menschen im Westen scheinen zu vergessen, über welche Waffen Russland verfügt. Von der Verteidigung der Ukraine zu sprechen ist eine Sache, "die Niederlage Russlands" zu fordern, ist etwas ganz Anderes. Eine solche Rhetorik kann explosiv sein. Bisher sehe ich zwei Parteien – die USA und China - als Gewinner in dieser Situation. Die USA haben ihren Einfluss in Europa gefestigt: Die Geschichte mit der Sprengung der Nord-Streams hat gezeigt, dass alle Europäer geschwiegen haben. Die US-Militärindustrie wird Milliarden mit Waffenlieferungen an Kiew und die NATO-Verbündeten verdienen. China entwickelt sich zu einer Supermacht in der asiatischen Region. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Chinesen billigen Zugang zu Energieressourcen aus Russland haben, das gezwungen war, die Lieferungen nach Europa zu kürzen. Ich würde dies als eine besorgniserregende Entwicklung auch für Moskau bezeichnen. Schließlich könnte China als Verbündeter gut sein, nicht aber als neue dominante Macht vor der Haustür.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich komme immer wieder zu der Erkenntnis, dass Russland von Anfang an, richtig Krieg gegen die Ukraine führen sollte!

Anonym hat gesagt…

Wer isoliert wen? Es reicht wohl nicht mehr nur den Donbass und Lugansk zu „befreien“, die ganze Ukraine muss unter russische Kontrolle, ansonsten hört der Spuk nicht auf. Verhandlungen mit dem Westen? Die Abkommen sind das Papier nicht wert, wie es das von Minsk gezeigt hat.

Anonym hat gesagt…

Putin mit seinem ständigen Herumgeeiere macht alles nur noch schlimmer. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.